Wandel wagen

Der britische Premier Benjamin Disraeli schrieb einmal: „Wandel ist unausweichlich. In einem fortschrittlichen Land ist Wandel permanent.“ Für das, was wir heute Innovation nennen, mag das stimmen. Doch im Hinblick auf den Menschen ist bemerkenswert, wie viele unserer Institutionen auf der Annahme beruhen, dass dieser sich nicht entwickelt. Ob Berufswahl oder Lebensversicherung, den Einsatz von Steuergeldern oder demokratische Mitbestimmung: unsere gesellschaftlichen Strukturen streben nach maximaler Berechenbarkeit. Dass wir morgen anders denken, empfinden, urteilen könnten als heute, ist nicht vorgesehen.

Das hat durchaus gute Gründe. Das Leben ist kurz. Dauerhafte Organisationen helfen, Wissen und Können zu bewahren. Wer für viele sorgt, trägt zudem Verantwortung. Nicht eingestellt zu sein auf das, was kommen mag, setzt dem Vorwurf der Verantwortungslosigkeit aus.

Doch manches deutet darauf hin, dass moderne Industrienationen zu weit gehen. Planung und Optimierung sind Geschwister: Der Notwendigkeit der Vorhersehbarkeit folgt die Erwartung der Optimierung von Lebensstilen, Bedürfnissen und Fähigkeiten auf dem Fuß. Doch jeder Plan verliert notwendig die Bedürfnisse des Einzelnen, jetzt und hier, aus dem Blick. Das versetzt viele junge Menschen in Panik, die sich dem Sog leistungsoptimierter Lebensstile nicht aussetzen wollen. Möglicherweise sind sie das erste Signal dafür, dass wir die Frage, ob und inwieweit wir den Wandel als Gesellschaft wagen wollen, zu einer langfristigen Debatte machen sollten.


Diese Kolumne über Gesellschaft erscheint monatlich als Teil des Newsletters der Sektion für Sozialwissenschaften, den ich als Redakteur verantworte. Der Newsletter zu den gesellschaftskritischen Ideen Rudolf Steiners kann hier gelesen und abonniert werden.

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